Eine große Bedeutung im Zusammenhang mit Wahrheit spielt für viele Menschen die Schuld. Denn Schuld wird dann vergeben, wenn ich Verantwortung für mein Unwohlsein beispielsweise hervorgerufen durch eine Ent-täuschung ablehne. Das schlechte Gefühl, was sich in mir breit macht, wenn sich meine Erwartungen nicht erfüllen, kann bis zur Erschöpfung oder Depression reichen. Wenn es mir nicht gelingen kann zu erkennen, dass ich selbst mir diese Situation erschaffen habe, dann vergebe ich Schuld. Und zwar bekommt dann beispielsweise der Mensch oder die Sache die Schuld, von dem oder von der ich ent-täuscht worden bin. Der Wiener Psychiater Raphael M. Bonelli schreibt dazu: „Warum sich der Mensch mit seiner Schuld schwertut, ist schnell erklärt. Schuld ist schmerzhaft. Besser gesagt: unverdrängte Schuld ist schmerzhaft, weil sie den Menschen daran erinnert, dass seine Handlungen nicht seinen eigenen Prinzipien entsprechen. Und weil Schuld beängstigend ist, drängt man sie so gerne ins Unbewusste ab, und ist danach an der Oberfläche wieder schmerzlos fehlerfrei. Das Kratzen an dieser makellosen Fassade ist damit bedrohlich – weil man etwas zu verstecken, sozusagen Leichen im Keller hat. Die Verdrängung der eigenen Schuld ist übrigens der Normalfall – es bedarf eines aktiven Bemühens, seiner eigenen realen Schuld im Rahmen einer Selbsterfahrung oder einer Gewissenserforschung ins Auge zu blicken. Dieses suchende Bemühen setzt das Bewusstsein voraus, dass man selbst fehleranfällig ist. Und das fehlt heute vielen.“ [1]
Was vielen Menschen nicht bewusst ist, ist folgender Sachverhalt. Wenn ich jemandem die Schuld für etwas gebe, dann mache ich mich damit zum Opfer und gebe somit einem Täter die Macht über meine Situation. In der Fachliteratur wird diese psychodynamische Sackgasse immer häufiger als „Opferfalle“ bezeichnet [1]. Der Täter, von dem ich ent-täuscht worden bin, hat Schuld, und ich „armes“ Opfer muss darunter leiden. Dieser letzte Satz verursacht bei vielen Menschen einen innerlichen Widerstand. Das kommt daher, dass sich viele ihrer Opferrolle nicht bewusst sind, sobald sie Schuld vergeben. Wer will schon gern Opfer sein? Ein Opfer ist ohnmächtig der Situation mit einem Täter ausgesetzt. Und an dem Wort Ohnmacht können wir wieder mehr erkennen. Ohn-macht bedeutet ohne Macht. Wir kommen nicht umhin, dies vollends anzuerkennen. Es gibt nun mal kein Opfer ohne einen Täter und umgekehrt. Auch wenn es uns nicht gefallen mag, es zeigt uns einen möglichen Weg, um aus diesem Drama auszusteigen:
- Ich bleibe mit meinen Gedanken bei mir und mische mich nicht in Angelegenheiten anderer ein.
- Ich vermeide Erwartungshaltungen, durch die ich Täuschungen aufbauen würde und die zu Ent-täuschungen führen.
In einem späteren Blogbeitrag wird dies noch weiter vertieft und aufgeklärt.
Der Schuldthematik ist in der (westlichen) Weltanschauung eine große Bedeutung zugeschrieben. Sie ist letztendlich eine der Ursachen, wieso viele Menschen glauben, dass das Leben es nicht gut mit ihnen meint. Es ist sehr gut nachvollziehbar, dass sich Menschen, die sich ständig in der Opferrolle befinden, dementsprechend ohnmächtig der Macht anderer ausgeliefert und damit schlecht fühlen. Diesem Umstand sind sie sich nicht bewusst, doch es ist der eben aufgezeigte dahinter liegende Sachverhalt. Am Ende geben viele dem Leben oder dem Schicksal Schuld, dass sie sich in ihrer Haut, in ihrem Körper, in ihrer Partnerschaft, in ihrem Arbeitsverhältnis, in ihrem Verein, in ihrem Freundeskreis, in ihrer Familie … nicht wohl fühlen. Für einige ist sogar Gott schuld, denn ihnen wurde erzählt, dass er uns und unsere Welt verlassen hat. Es ist also kein Wunder, dass wir uns oftmals dem Fluss des Lebens nicht hingeben können. Der Moment der Veränderung bereitet uns Unbehagen. Es kommt uns unsicher vor, denn wir können die Situation nicht kontrollieren. Was, wenn uns etwas geschieht? Was, wenn uns das Schicksal bzw. das Leben wieder ent-täuscht?
Der einzige Weg aus dieser Sackgasse ist der Weg der inneren Wahrheit.
Quellen:
[1] Bonelli, R. M., Selber Schuld, 2013, Pattloch