Wenn sich Veränderung in unserem Leben einmal Bahn gebrochen hat, erscheint es oft wie ein Übergang von einem Lebensabschnitt zum nächsten. Hier können wir schnell verleitet sein, sofort wieder sichere Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wir uns wohlfühlen und durchatmen können. Man könnte meinen, dass es eine Art imaginären Verfolger gäbe, vor dem es sich zu schützen oder zu verstecken gilt. Den Fluss des Lebens, den wir in dieser vermeintlichen Übergangszeit spüren, macht vielen Menschen Angst, denn sie glauben (unbewusst), dass das Leben in seiner ursprünglichen unkontrollierten Form lebensfeindlich, bedrohlich und schwer ist. Das Drücken viele dieser Sprüche aus, die oft zu vernehmen sind, wenn Menschen über ihr Schicksal klagen. „Das Leben ist kein Ponyhof“, „Im Leben bekommt man nichts geschenkt“ oder „Von Nichts kommt Nichts“ und so weiter und so weiter. Wo kommt diese Auffassung vom Leben her? Wer hat das Recht über das Leben in dieser Art zu urteilen? Das sind Erfahrungen, kann „man“ hierzu vernehmen. Die Menschen machen zweifellos Erfahrungen. Und einige dieser sind sicherlich mindestens unangenehm und manche sogar traumatisch. Der Grund für diese teils negative Einstellung zum Leben ist zum großen Teil Ergebnis unserer Prägungsphase am Anfang unseres Lebens. Einen weiteren Beitrag liefert die sogenannte Konditionierung, durch die wir lernen, wie wir uns gut in unser soziales Umfeld einfügen und funktionieren, wie es von uns erwartet wird. Und genauso, wie Erwartungen an uns gestellt werden, haben wir auch Erwartungen an andere Menschen. Und diese Erwartungsthematik legt den Grundstein für viele Enttäuschungen, die wir im Leben erfahren. Vereinfacht gibt es bei diesem Erwartung-Enttäuschung-Dilemma folgenden Ablauf:
- Unbewusst glaube ich, dass meine Weltanschauung (die Richtigkeit der Dinge) mit der von anderen Menschen übereinstimmt.
- Ich glaube zu wissen, dass ein anderer Mensch sieht, fühlt oder weiß, dass er etwas zu tun hat, was ich von ihm erwarte.
- Ich baue bewusst oder unbewusst eine Erwartungshaltung diesem Menschen gegenüber auf, sodass ich mein Wohlbefinden an die Erfüllung dieser Erwartung knüpfe.
- Sobald dieser Mensch, in welchen ich meine Erwartung gesetzt habe, nicht so handelt, wie ich es erwarte, fühle ich mich schlecht und mache ihn für meine Enttäuschung verantwortlich.
In vielen Fällen wissen die anderen Menschen, welche die Erwartungen vermeintlich zu erfüllen haben, noch nicht mal etwas von diesem Anspruch. Wie ein versteckter Vertrag wirkt dieses Geflecht aus dem Verborgenen und sorgt so meistens für großes Erstaunen, wenn dies dann ans Licht kommt. So hängt beispielsweise eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Scheidung mit generalisierten Erwartungen bezüglich Gestaltung und Funktion einer Partnerschaft zusammen [1]. Ein anderer großer und schwerer Block, der auf uns lastet, sind die uns sehr wohl bewussten Erwartungen, die wir anderen gegenüber hegen oder die andere an uns stellen.
Aber nicht nur an Menschen werden Erwartungen gestellt, sondern auch Konstrukte, die wir in unserem Leben kreiert haben. Dies können z. B. Urlaubsreisen sein, die erwartungsgemäß schön und erholsam zu sein haben. Oder bestimmte Feste bzw. Partys, an die die Erwartung haben, dass sie großartig werden und uns fröhlich stimmen. Diese giftige Einstellung kann dann so weit führen, dass Erwartungen gegenüber Sachverhalten gehegt werden, wie z. B. Wetterphänomenen („Es darf jetzt nicht regnen!“) oder dem Verlauf eines bestimmten Lebensabschnittes („Es muss einfach gelingen!“).
Beim genaueren Betrachten des Wortes Enttäuschung fällt bereits die Falle auf, in die wir mit unseren Erwartungen geraten. Uns widerfährt eine Ent-täuschung. Da steckt Täuschung drin. In dem Moment, in welchem wir eine Erwartungshaltung aufbauen, unterliegen wir einer eigens geschaffenen Täuschung. Wir täuschen uns selbst mit Beginn dieses Dilemmas dadurch, dass wir an die zwangsläufige Erfüllung unserer Erwartung glauben. Tritt dann das Gegenereignis ein, fliegt unsere Täuschung auf und es kommt zur Ent-täuschung. Die Sprache gibt uns einen unverblümten Blick auf die Sachlage unseres Handelns.
Unterscheidung von Angelegenheiten
In unserem gesamten Leben sind wir bewusst oder unbewusst in verschiedenste Angelegenheiten verstrickt. Um hier einen bewussteren Umgang respektive Blick auf die Lage zu bekommen, kann es hilfreich sein, drei Typen von Angelegenheiten zu unterscheiden [2]:
- Angelegenheiten von mir
- Angelegenheiten anderer Menschen
- Angelegenheiten Gottes/der Natur/des Universums
Ich möchte hierzu ein paar Beispiele aufführen.
- Wenn ich darüber nachdenke, wie ich meinen heutigen Tag gestalten könnte, dann befinde ich mich in meiner Angelegenheit.
- Wenn ich der Meinung bin, dass es das Beste für meinen Partner wäre, wenn er aufhört zu rauchen, dann befinde ich mich mit meinen Gedanken in der Angelegenheit meines Partners (eines anderen Menschen).
- Wenn ich will, dass es heute nicht regnet, dann befinde ich mich in der Angelegenheit der Natur (Gottes etc.).
Insbesondere das zweite Beispiel wird von vielen Menschen anders gesehen. Sie denken, dass es sehr wohl ihre Angelegenheit ist, ob der Partner raucht oder nicht, da sie ja in einer Partnerschaft mit ihm leben. Und hier fällt sofort das Erwartung-Enttäuschung-Dilemma auf. Denn sofern der Partner weiterraucht bzw. nicht aufhört, obwohl ich denke, dass es das Beste sei für ihn oder für mich, kann ich nur ent-täuscht werden. Und wenn ich dann noch mein eigenes Wohlbefinden an diesen Sachverhalt knüpfe, dann ist oftmals die Eskalation hervorgerufen durch Ent-täuschung nicht mehr weit. Es ist letztendlich meine Angelegenheit, ob ich mit einem rauchenden Partner zusammenleben möchte. Aber, ob dieser raucht oder nicht, ist seine Angelegenheit. Wir denken nur zu wissen oder zu glauben, was das Beste für andere Menschen sei. Dies liegt schlicht daran, dass jeder Mensch seinen eigenen Erfahrungsschatz hat und seine ganz eigene individuelle Prägung und Konditionierung erlebt hat.
Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind.
Talmud
Die zwei folgenden Bilder können dies sehr gut illustrieren:


Im linken Bild kann ein Reiter gesehen werden, der auf uns zu kommt oder von uns weg reitet. Und im rechten Bild geht es darum, ob das Glas halb leer ist oder halb voll. Wir können schnell den Eindruck gewinnen, dass die eine Variante besser sei als die andere. Zum Beispiel könnte man denken, dass die Menschen, die das Glas halb voll sehen, die Optimisten sind und die anderen die Pessimisten. Doch wer entscheidet, was besser ist. Sicherlich gibt es eine weit verbreitete Ansicht, dass die Optimisten besser durch das Leben kommen würden als die Pessimisten. Doch ist das tatsächlich so? Wer hat hier das Recht, das zu entscheiden? Nur weil eine Meinung vorherrschend ist, muss sie nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen. Es gibt sehr viele Beispiele, die uns zeigen können, welchem Trugschluss wir durch unsere Gedankenwelt aufliegen. Ein Messer kann einerseits zum Brotschneiden benutzt werden und andererseits als Waffe, um jemanden zu töten. Das GPS (Global Positioning System) kann einerseits für unsere Routenplanung verwendet werden und andererseits zur Überwachung unseres täglichen Bewegungsablaufs. Die Windkraftanlagen liefern einerseits Grünstrom und vermeiden dadurch die Verwendung fossiler Brennstoffe. Andererseits gefährden sie nachweislich Tiere (insbesondere Vögel) in ihrem Einzugsgebiet [3]. Wer also soll entscheiden, was vermeintlich gut oder schlecht ist?
“Der Streit um die Richtigkeit der eigenen Weltanschauung ist nichts weiter als ein Egotrip.”
Quellen:
[1] Brandtstädter & Felser, Entwicklung in Partnerschaften: Risiken und Ressourcen, Huber, 2003
[2] Katie & Mitchell, Loving What Is: Four Questions That Can Change Your Life, Harmony, 2003
[3] Gauld, Hotspots in the grid: Avian sensitivity and vulnerability to collition risk from energy infrastructure interactions in Europe and North Africa, Journal of Applied Ecology, 2022